Fuchsfeder Nr. 3 – Lektorat DvH: Trotz Depression nicht durch eine, sondern zwei Runden Inhaltslektorat
„Wer hat das Buch geschrieben, kennt man den*die Autor*in?“ Falsche Frage – ihr vorausgehen sollte diese: „Wer hat den Text lektoriert und wie viel musste der*die Lektor*in dafür leisten?"
Diese waghalsige Formulierung ist das Resultat des schwierigsten Lektorats, das ich bisher eingearbeitet habe. Ich hatte bereits Erfahrung bei Kurzgeschichten, die ich in 2020 und 2021 veröffentlicht habe. Anfang 2022 begann dann das Lektorat zu meinem Debütroman Das Azurblau deiner Worte, der im Mai 2023 erschienen ist. Ähnlich wie der Text, um den es heute gehen soll, war auch DAdW ein Kurzroman/eine Novelle. Dennoch gilt: Jedes Lektorat ist anders, so wie jede*r Autor*in – und jede*r Lektor*in!
Während „Azurblau“ ein uralter Text aus dem Jahr 2008 ist, der auf einem realen Aufenthalt in Nizza aufbaut, handelt es sich bei DvH um eine frei erfundene Geschichte. Es begann im November 2023 mit einem Bild in meinem Kopf: zwei sehr unterschiedliche Menschen, die sich bereits flüchtig kennen, treffen unerwartet wieder aufeinander und die Funken fliegen. „Nur diese Szene“, sagte ich mir, „dann hast du deine Ruhe“. Wie so oft konnte ich in dem Protagonisten ein reales Vorbild mit eigenen, dazuerfundenen Eigenschaften vermischen und daraus schnell einen dreidimensionalen Charakter erschaffen.
Vielleicht blieb es deshalb nicht bei nur einer Szene. Innerhalb kürzester Zeit schrieb ich eine komplette Novelle fertig. Fünf Wochen im November/Dezember 2023, neben Brotjob, sozialen Kontakten, Wintermüdigkeit und Alltagsgedöns. Einen Tag vor Heiligabend schrieb ich die Story fertig, damit meine Testleserinnen über die Feiertage Zeit zum Lesen hatten. Bereits in den Feedbacks der Testleserinnen deutete sich ein Problem an, das sich durchs gesamte Inhaltslektorat ziehen sollte: Es war eine komplexe Story inklusive Magie und Plottwists, und ich hatte nicht geplottet. Allein das Ende hat sich mehrfach völlig geändert …
Wenn ich den Schreibenden unter euch einen Tipp geben darf: MACHT DAS NICHT. Im Ernst, es war die dümmste Idee, die ich in meiner bisherigen Karriere als Autorin hatte. Warum? Weil zwei vielschichtige Protagonist*innen, ein atmosphärisches Setting im winterlichen Nordfrankreich der 1780er Jahre und ein lustiger Tausch von typisch „männlichen“ und „weiblichen“ Rollen (sie Auftragsmörderin, er Magier) nicht ausreichen, um eine Story halbwegs nachvollziehbar zu machen.
Und wenn eine Story Murks ist, dann legen Lesende sie weg oder schlimmer noch: kaufen sie gar nicht erst. So weit, so chaotisch. Im November/Dezember heruntergeklatschte Rohfassung, im Februar dann der Entschluss, den Spaß zu veröffentlichen. Nach dem eher bescheidenen Erfolg von DAdW war ich zunächst unsicher, ob und was ich überhaupt als Nächstes veröffentlichen soll. Dann kam DvH in mein Leben geschneit und ich musste einfach nachgeben. Denn solch eine Story hatte ich zuvor noch nicht ersponnen.
Ich fragte also Xenia an, mit der ich für „Das Azurblau deiner Worte“ bereits zusammengearbeitet hatte. Schon in 2022 gefiel mir, wie behutsam, aber auch genau sie mit meinem Text umging. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die mit heftiger Kritik gut umgehen können. (Vielleicht rejection sensitive dysphoria, was mit ADHS zusammenhängen könnte.) Aber sieben Jahre als professionell arbeitende Autorin und fünfundzwanzig Jahre als schreibende Person haben mich gelehrt, sehr genau zwischen destruktiver und konstruktiver Kritik zu unterscheiden.
Kleiner Exurs: Was unterscheidet konstruktive von destruktiver Kritik?
Beispiel für destruktive Kritik: „Hm, also ich finde deinen Schreibstil nicht so ausgereift. Woran genau das liegt, kann ich leider nicht sagen. Ach, und deine Protagonistin ging mir ziemlich auf die Nerven. Kannst du die vielleicht umschreiben? Sonst liest das ja keiner und das willst du doch nicht, oder?“
Beispiel für konstruktive Kritik: „Also was ich gut finde, ist wie lebendig du deine Protagonistin beschrieben hast. Ich konnte mir ihre Gedanken und Gefühle gut vorstellen. Du könntest allerdings darauf achten, weniger Bandwurmsätze zu formulieren. Erstens könntest du dadurch Leser*innen verlieren und zweitens ist es eher unrealistisch, dass sie in langen Sätzen denkt, wenn sie so entschlossen ist. Probier es doch mit kurzen, starken Sätzen, das könnte den Text noch besser machen!“
Konstruktive Kritik setzt drei Dinge voraus:
- Verständnis der Sachebene
- Empathie
- eigene Denkleistung, z.B. indem der Finger genau auf die bereits vorhandene Wunde gelegt wird und nicht (wie bei destruktiver Kritik) eine neue aufgerissen wird.
Verständnis der Sachebene kann man lernen, indem man sich immer wieder intensiv mit (literarischen) Texten auseinandersetzt, sie studiert (so wie ich) und sich mit anderen austauscht, z.B. in Workshops oder dem Autorenkolleg, das ich 2017 an der FU Berlin besucht habe.
Empathie zu lernen ist schon schwieriger. Entweder man hat sie, oder nicht. Meine übermäßige Empathie sorgt dafür, dass ich mich sehr schwer damit tue, andere für ihre Texte zu kritisieren. Denn da ist immer die Furcht, dass ich sie verletzen oder vom Schreiben abbringen könnte. Aber ich habe im Laufe der Jahre gelernt, wie man bei konstruktiver Kritik vorgeht:
Die Worte sollten klar benennen, was genau an der Textstelle noch verbesserungswürdig ist und warum und idealerweise einen konkreten Vorschlag machen, was besser klänge und warum. Die wichtigste Voraussetzung ist aber: Meine Meinung ist nur EINE Meinung und ich respektiere die Leistung der schreibenden Person.
Etwas Lob kann zwischen der wichtigen Kritik nicht schaden, denn sonst denken manche schreibenden Personen (also ich), alles am Text sei schlecht. Es braucht verdammt viel Mut, über die eigene Kunst zu sprechen und noch mehr Mut, sich dafür Kritik zu unterziehen. Manchmal, wenn ich früher „zu empfindlich“ auf Kritik reagiert habe, habe ich gehört „Ich kritisiere ja nicht dich, sondern nur deinen Text“.
Excuse me, aber ein literarischer Text ist *immer* Teil von mir! Warum tue ich mir das Schreiben in dieser Welt sonst an, die nicht gerade glimpflich mit Künstler*innen umgeht? Es gibt einen Unterschied zu wissenschaftlichen oder journalistischen Texten, im Falle derer sich die schreibende Person immer ein Stück weit hinter Fakten und Thesen anderer wegducken kann und wo (zumindest bei mir) weitaus weniger Herzblut und Persönliches einfließen würde.
Meine Lektorin Xenia hat mit ihrer konstruktiven Kritik zu DvH bei mir fast immer ins Schwarze getroffen. Und da ich weiß, wie schwierig es ist, andere konstruktiv zu kritisieren, ziehe ich meinen Hut vor dieser Leistung! Ja, ich habe oft an der Story gezweifelt, und ja, als ich die zahlreichen Kommentare in der ersten Runde gesehen habe, musste ich hart schlucken. Was für ein Monstrum hatte ich geschaffen und wer würde dieses Kuddelmuddel überhaupt lesen wollen?
Wir erinnern uns aber: Es ist verdammt mutig, seine Kunst nicht nur mit Lesenden zu teilen, sondern sich auch professioneller Kritik zu unterziehen. Wo könnten sich Autor*innen weniger wegducken als in einem Lektorat? Ich weiß, dass manche Selfpublisher*innen sich kein professionelles Inhaltslektorat leisten (können) und sich ausschließlich auf Testlesende verlassen – oder ihr Manuskript einfach selbst überarbeiten und dann in die Welt schicken.
Ich halte davon nichts. Warum nicht? Weil Testlesende keine Profis sind. Sie haben keine Ausbildung als Lektor*in, vielleicht lesen sie viel und idealerweise können sie gut konstruktive Kritik üben. Ihre Meinung ist wichtig, denn das fertige Buch wird sich an Lesende richten. Dennoch – Testlesende können und müssen nicht die professionelle Brille aufsetzen. Ein Text wird immer um eine erhebliche Ebene bereichert, wenn er ein Inhaltslektorat erfährt. Warum?
Niemand kann deine Hand so halten, wenn es im Manuskript knifflig wird, wie jemand, der*die sich mit der Funktionsweise literarischer Texten genau auskennt. Niemand kann dich so sehr vorantreiben, wenn du wieder mal von Zweifeln geplagt wirst. Lektor*innen sollten eine Ausbildung und abgeschlossene Projekte vorweisen können – „Ich habe Germanistik studiert“ oder „Ich habe drölfzig Manuskripte testgelesen“ sind keine Ausbildung.
Aber bei einem guten Inhaltslektorat schreibt die Lektorin meinen Text einfach um und ich kann ihr die Arbeit überlassen – oder beleidigt alle Verbesserungsvorschläge ablehnen? Leider nicht – gute Lektor*innen sollten die Balance halten: Sie greifen in einen fremden literarischen Text ein, wohlwissend, dass es ein empfindliches und persönliches Gebilde ist. Gute Lektor*innen formulieren immer Vorschläge, niemals sollten in den Kommentaren Verallgemeinerungen à la „Wenn du das nicht umsetzt, wird dein Buch schlecht ankommen“ stehen.
Dass ein*e gute*r Lektor*in Vorschläge formuliert, heißt nicht, dass ich das übernehmen muss. Denn Urheber*in bin und bleibe ich selbst (Stichwort geistiges Eigentum). Xenia schreibt auf ihrer Website, sie passe sich dem Stil der schreibenden Person möglichst an, was mir bei DAdW und DvH entgegenkam, da die Storys sehr unterschiedliche Settings haben. Wenn sie mir einen Vorschlag unterbreitet, kann ich diesen exakt so übernehmen, ihn ablehnen oder ihn umformulieren. Die Entscheidung darüber obliegt immer mir selbst, und das macht Inhaltslektorate sehr intensiv.
Es braucht Durchhaltevermögen und Raum im Kopf, um nicht nur die Lieblingsszenen, sondern auch schwierige Stellen immer wieder durchzuarbeiten und aus neuen Perspektiven kennen zu lernen. Ein bisschen wie ein Puzzle aus unzähligen Teilen, die man hin- und herschiebt. Die professionelle Brille eine*r Lektor*in schleift den Text und bringt ihn zum Strahlen wie ein Juwel, wie Xenia auf ihrer Website schreibt. Und jetzt zu dem Grund, weshalb ihr eigentlich hier seid: Warum hat mich das Lektorat von DvH so viele Nerven gekostet und warum hat es sich dennoch gelohnt?
Zum einen finden Lektorate nicht im luftleeren Raum statt. Die Zeit, in die die erste Runde Inhaltslektorat fiel, war dabei noch erträglich, trotz Stress mit dem (Noch-)Arbeitgeber. Die zweite Runde ab Ende Juni fiel leider mitten in eine Depression, die zusätzlich durch mehrere private Gründe motiviert wurde. Jede*r von euch, der*die einmal darunter gelitten hat, weiß: „Depression is a b*tch.“ Ich stand vor der Wahl: Lektorat abbrechen, weil mein Kopf mir einflüstert „Wer will diesen Mist schon lesen?“ oder weitermachen, um mich an etwas festzuhalten und meinen richtungslosen Alltag zu meistern?
Diese Entscheidung zwischen selbstabwertenden Gedanken zu fällen, war definitiv schwierig. In DvH kommt als Trope „enemies to lovers“ vor, das ich zuvor als Schreibende noch nie verwendet hatte. Wann geben die Protagonist*innen das erste Mal die Abneigung gegen die andere Person auf, verliebt sich eine*r schneller als der*die andere, wann übertreten sie die Schwelle und schmelzen endgültig dahin und was macht das längerfristig mit ihrer menschlichen Beziehung?
Die Depression machte mir das Lektorat definitiv nicht leichter. Dennoch weigere ich mich, psychische Erkrankungen ausschließlich als Ballast anzusehen. Zum einen sucht mensch sich Depressionen nicht aus. Zum anderen steckt in jeder Krankheit auch eine Chance – sofern man genug Geld, Zeit und Energie hat, um sich um sich selbst zu kümmern. Bei mir waren Nr. 1 und 2 vorhanden – Nr. 3 musste ich mir erkämpfen. Aber machte mich das nicht auch meiner Protagonistin ähnlicher? Konnte ich nicht mein Stimmungstief als Motor nutzen, um sie in ihre dunkle Hintergrundgeschichte zu stecken?
Dennoch: Ich möchte Depressionen hier nicht glorifizieren. Ja, ich konnte sie zum Teil nutzen, um der Story noch mehr Drama zu verleihen. Dennoch habe ich mich im Laufe der ersten Runde Inhaltslektorat oft dafür verflucht, die eierlegende Wollmilchsau schaffen zu wollen. Sogar eine zweite Runde Inhaltslektorat habe ich dazugebucht, weil ich den Eindruck hatte, Runde 1 warf zahlreiche Fragen auf, die ich einfach mit Plotten hätte lösen können. Hat es sich gelohnt, sich trotz Depression durch Runde 2 des Inhaltslektorats durchzubeißen? Aber holla die Waldfee! Um es mit den abschließenden Worten meiner Lektorin zu sagen:
*Auf die eigene Schulter klopf* Und falls ihr euch nun fragt „Wie hat sie es geschafft, so viel übers Lektorat zu plappern, uns aber keinerlei konkrete Einblicke zu geben?“ – dann habe ich nun ein besonderes Schmankerl für euch: Und zwar werde ich zu Gast bei Xenias Podcast sein, in dem sich alles ums Thema Inhaltslektorat dreht! Wir werden vermutlich genauer auf einzelne Stellen eingehen, in denen das Inhaltslektorat flutschte – oder eine Herausforderung darstellte. Einen groben Fahrplan gebe ich euch schon mal mit, jetzt wo ihr euch durch so viel Metaebene gewühlt habt :)
Das Release-Datum für DvH ist momentan für die zweite Novemberhälfte diesen Jahres geplant. Der Podcast sollte wahrscheinlich rund um diesen Zeitraum streambar sein. In der Zwischenzeit bin ich bereits auf Instagram zurückgekehrt. Ich möchte euch aber auch hier bis zum fertigen Buch mitnehmen. Instagram ist so eine Hassliebe von mir, aber die Fuchsfeder mag ich sehr! Wenn ihr in der Zwischenzeit in die ersten Folgen von Xenias Podcast zum Inhaltslektorat hineinhören wollt – hier findet ihr sie, oder folgt ihr alternativ auf Instagram (man kommt nicht drumrum, aber lohnt sich!)
Euch hat der Newsletter gefallen? Dann erzählt es gern weiter! Ob Flüsterpost oder Instagram: The more, the merrier :-)
Ihr habt die bisherigen Folgen verpasst? Hüpft doch auf meine Website und lest es nach. Viel Spaß dabei!